Am 4. März ist Welt-Adipositas-Tag
Interview mit dem Adipositas-Experten Dr. med. Arkadiy Radzikhovskiy
Am. 4. März ist Welt-Adipositas-Tag. Er wurde von der World Obesity Federation ins Leben gerufen. Die Organisation möchte das Bewusstsein und das Wissen über Adipositas in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rücken, denn weltweit sind bereits über 800 Millionen Menschen betroffen.
Wir haben mit Dr. med. Arkadiy Radzikhovskiy gesprochen, der seit 2022 das Adipositas-Zentrum am Kreiskrankenhaus Frankenberg leitet.
Herr Dr. Radzikhovskiy, wann spricht man von Übergewicht und wann von Adipositas?
Prinzipiell sind beides ungewöhnliche oder übermäßige Fettansammlungen im Körper, die die Gesundheit beeinträchtigen können. Als übergewichtig gilt eine Person bei einem BMI (Body-Mass-Index) von über 25. Steigt der BMI über 30, spricht man von Adipositas.
Und wieviel Prozent der Deutschen sind betroffen?
Laut der Nationalen Verzehrstudie aus 2008 hatten wir damals hierzulande bereits ca. 21 % übergewichtige Personen. Eine wissenschaftliche Hochrechnung prognostiziert für 2025 bereits 25,4 % bei Frauen und 28,9 % bei Männern. Das Ausmaß ist also enorm und bedeutet für viele Betroffene einen großen Leidensdruck durch körperliche Einschränkungen, Stigmatisierung und schwerwiegende Folgeerkrankungen.
Welche Begleiterkrankungen machen Adipositas so gefährlich?
Man geht davon aus, dass bis zu 80 % aller Diabetes Typ 2 Fälle durch Übergewicht und Adipositas verursacht werden. Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems kommen hinzu. Nicht zuletzt leidet das Muskel- und Skelett-System stark unter der Belastung.
Welche Behandlungsmöglichkeiten für Übergewicht gibt es und wie sind die Erfolgsaussichten?
Die meisten Betroffenen versuchen zunächst mit einer konservativen Therapie ihr Gewicht zu reduzieren und dann konstant zu halten. Hierzu zählen eine Ernährungsumstellung, Bewegungstherapie, Verhaltensmodifikation und Motivation. Bei moderatem Übergewicht sind durchaus Erfolge zu verzeichnen. Das Problem besteht in der Nachhaltigkeit dieser Gewichtsabnahme, da über 60 % der Patienten die Therapie nicht dauerhaft durchhalten.
Derzeit besteht in den Medien eine sehr große Aufmerksamkeit für die medikamentöse Behandlung des Übergewichts per „Abnehmspritze“. Verschiedene Präparate, die bestimmte Hormone aus unserem Verdauungstrakt enthalten, versprechen eine Verbesserung der Appetitregulation und damit eine automatische Verringerung der Kalorienzufuhr aus der ein Gewichtsverlust folgt. Tatsächlich kann man mit diesen Medikamenten eine gewisse Gewichtsreduktion erreichen, die aber nur erhalten bleibt, wenn das Medikament lebenslang verwendet wird. Die Liste der möglichen Nebenwirkungen ist lang. Die mögliche Gewichtsabnahme wird in Studien mit circa 20 kg angegeben und liegt damit bei schwer adipösen Personen weit unterhalb dessen, was nötig ist, um gesundheitlich relevante Effekte zu sehen. Nichtdestotrotz kann die medikamentöse Therapie eine Ergänzung zur konservativen oder operativen Therapie sein.
Durch bariatrische Operationen wie die Magenbypass- oder Schlauchmagenchirurgie kann eine signifikante Gewichtsabnahme erreicht werden, was oft zu einer Verbesserung oder sogar Heilung von damit verbundenen Gesundheitsproblemen wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und Schlafapnoe führt. Herauszuheben ist der Erfolg beim Diabetes. Das Sinken der Blutzuckerwerte, der Rückgang des Insulinbedarfs und anderen Diabetesmedikamenten setzt direkt nach dem Eingriff ein, also lange, bevor eine merkliche Gewichtsreduktion stattgefunden hat. Studien haben gezeigt, dass viele Patienten nach einer Magenverkleinerung eine signifikante Verbesserung ihrer Lebensqualität und ihres Selbstwertgefühls erleben.
Gibt es bestimmte Kriterien, die Patienten erfüllen müssen, um für eine Magenverkleinerung in Frage zu kommen?
Ja, absolut. Eine Magenverkleinerung ist in der Regel für Patienten mit einem BMI von über 40 oder schon ab 35 in Verbindung mit schweren Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Herzkrankheiten indiziert. Darüber hinaus müssen die Patienten bereit sein, ihren Lebensstil nach der Operation zu ändern, einschließlich einer gesünderen Ernährung und regelmäßiger körperlicher Aktivität. Vor der Operation führen wir immer eine gründliche Untersuchung durch, um sicherzustellen, dass die Patienten für den Eingriff geeignet sind und realistische Erwartungen haben. Die Entscheidung für eine bariatrische Operation wird jedoch sorgfältig getroffen und basiert auf einer gründlichen Evaluierung der Risiken und Vorteile für jeden einzelnen Patienten.
Was kann man sich unter Ihrem Adipositas-Zentrum vorstellen? Welche Vorteile haben Patienten, die dort in Ihre Sprechstunde kommen?
Bei uns im Adipositas-Zentrum im Kreiskrankenhaus Frankenberg stellen sich hauptsächlich Patienten vor, die mit konservativen Therapien zur Gewichtsabnahme keine dauerhaften Erfolge erzielt haben. Viele von ihnen leiden bereits unter Begleiterkrankungen. Mit einer intensiven Diagnostik und persönlichen Gesprächen klären wir ab, ob eine Operation die einzige erfolgsversprechende Therapie wäre.
Wir verfolgen hier einen multimodalen Ansatz mit einer umfassenden Behandlungsstrategie, die verschiedene therapeutische Interventionen kombiniert, um Adipositas-Patienten ganzheitlich zu unterstützen. Dieser Ansatz berücksichtigt nicht nur die chirurgischen Aspekte der Gewichtsreduktion, sondern integriert auch Ernährungsberatung, Bewegungstherapie, psychologische Betreuung und gegebenenfalls medikamentöse Behandlung. Dazu arbeiten wir in einem interdisziplinären Team aus Fachkräften zusammen, um eine maßgeschneiderte Therapie für jeden einzelnen Patienten zu entwickeln.
Das Adipositas-Zentrum bleibt auch nach einer bariatrischen Operation eine wichtige Anlaufstelle für die Patienten, denn sie benötigen eine lebenslange Nachsorge und Kontrollen.
Herr Dr. Radzikhovskiy, wir bedanken uns für das sehr informative Gespräch.