„Was die Helfer hier geleistet haben, kann ich nur als übermenschlich bezeichnen.“
Patientin Marion Zellner berichtet über die Evakuierung beim Brand im Kreiskrankenhaus.
Am 31. Oktober brannte es im Kreiskrankenhaus Frankenberg. Obwohl sich das Feuer auf einen sehr kleinen Bereich der Station 3 beschränkte, mussten vorsorglich alle Patienten zunächst evakuiert werden. Marion Zellner aus Winterberg befand sich als Patientin auf Station 9, als eine Schwester ihr Zimmer betrat und sie bat, sofort nach draußen zu gehen. Wir haben mit ihr ein Interview über ihre Eindrücke in dieser Nacht geführt.
Frau Zellner, was waren Ihre ersten Gedanken und Gefühle, als Sie mitbekamen, dass ein Brand ausgebrochen war?
„Die Schwester hat mich kurz vor 18 Uhr ruhig und sachlich informiert, dass es einen Feueralarm gibt und alle das Gebäude verlassen müssen. Zunächst ging ich hoffnungsvoll davon aus, dass es sich um einen Fehlalarm handele. Ich war nach meiner Operation zwei Tage vorher noch sehr geschwächt und hatte etwas Angst, ob ich das schaffe. Beherzt habe ich mir noch etwas übergezogen, mein Handy genommen und bin dann nach draußen gegangen, während die Schwester in die nächsten Zimmer eilte. Panik habe ich keine verspürt. Ich bin selbst Krankenschwester und habe schon etliche Brandschutzübungen in meiner Klinik mitgemacht. Sobald ich auf den Flur trat, habe ich sofort gerochen, dass es ernst ist.“
Können Sie uns beschreiben, was Sie auf Ihrem Weg durch das Gebäude zum Ausgang und auch draußen beobachtet haben?
„Im Gebäude war eine wahnsinnige Hektik ausgebrochen. Die Schwestern und Ärzte brachten Patienten in Betten oder Rollstühlen zunächst in die Notaufnahme oder nach draußen. Mütter mit ihren Neugeborenen liefen über den Flur. Teilweise mussten Patienten auf Laken herbeigetragen werden. Ich habe zwei Pflegekräfte beobachtet, die sich - nachdem sie den Patienten ablegen konnten - erschöpft und weinend in die Arme fielen. Doch sie trösteten sich nur ganz kurz, rappelten sich wieder auf und eilten zurück, um weiteren Patienten zu helfen.“
„Draußen habe ich mich auf die Treppe vorm Schulgebäude gesetzt und erstmal meinen Mann angerufen. Dann saß ich dort und hatte das dringende Bedürfnis, irgendwie zu helfen. Ich war aber zu schwach dafür und mein Verstand sagte mir, dass ich keine große Hilfe wäre, wenn ich umkippe. Nach einer Weile bemerkte ich, dass mein Gesicht ganz nass war. Ich hatte angefangen zu weinen, ohne es zu bemerken. Auf der Straße standen werdende Mütter, die ziemlich aufgelöst waren. Ein Arzt kam auf sie zu, um sie zu beruhigen. Er versprach ihnen: „Hier wird kein Kind auf der Straße geboren! Notfalls gehen wir in mein Zimmer im Wohnheim im Schulgebäude."
„Es waren sehr viele Menschen da, die helfen wollten. Helfer rannten mit leeren Betten von oben hinunter zum Hubschrauberlandeplatz, wo weitere Patienten das Gebäude verlassen hatten. Es wurden Decken gebracht, Getränke angeboten und jedermann tat sein Bestes. Keiner stand nur herum. Was die Helfer hier geleistet haben, kann ich nur als übermenschlich bezeichnen.“
„Ein Paar kam zum Haupteingang, welches sich Sorgen um die Mutter machte, die als Patientin im Krankenhaus war. Die beiden wollten eigentlich Halloween feiern und waren entsprechend verkleidet und geschminkt.“
Wie haben Sie die Stimmung unter den Patienten, Helfern und Mitarbeitern erlebt?
„Im Foyer lagen einige ältere Patienten, die offensichtlich die Situation nicht verstehen konnten und immer wieder „Hallo" riefen. Auch wenn keiner in diesem Moment Zeit hatte, sich zu diesen Menschen zu setzen, haben Vorbeikommende immer versucht, sie durch ein paar tröstende Worte und einen festen Händedruck zu beruhigen.“
„Eine Hochschwangere erzählte mir heilfroh, dass die eigentlich für diesen Tag geplante Einleitung der Geburt doch noch nicht begonnen hatte, da sie sonst unter Wehen den Kreißsaal hätte verlassen müssen.“
„Bei all der Hektik und dem Gewusel der Helfer und Patienten war es doch erstaunlich ruhig, als ob alle instinktiv wüssten, was zu tun ist. Ihr entschlossenes Handeln, ohne Panik zu verbreiten, war der richtige Weg.“
„Zwei jüngere Frauen kamen zu mir, um mir etwas zu trinken anzubieten. Es stellte sich heraus, dass die beiden gerade einen Patientenbesuch gemacht hatten, als die Evakuierung startete. Sie entschieden sich, vor Ort zu bleiben und ein wenig die Rettungskräfte und Mitarbeiter zu unterstützen.“
Wie ging es für Sie selbst dann weiter? Konnten Sie zurück auf Ihr Zimmer?
„Ich hatte meinen Mann informiert, der sich sofort auf den Weg nach Frankenberg gemacht hatte. Er musste das Auto unten auf dem REWE-Parkplatz lassen, weil die Zufahrt zum Krankenhaus gesperrt und durch Rettungsfahrzeuge blockiert war. Da völlig unklar war, wie es weitergehen würde, und ich einigermaßen mobil war, habe ich beschlossen, mit meinem Mann nach Hause zu fahren. Wie gut, dass ich aus den Brandschutzübungen wusste, wie ich mich verhalten muss. Ich ging also zur Pforte, um Bescheid zu geben, dass ich mich abholen lasse. Nicht, dass man mich später vermisst und im Gebäude gesucht hätte.“
„Wie ich dann den Weg den Berg runter geschafft habe, obwohl ich tagsüber gerade mal für ein paar Schritte über den Flur gereicht hatte, weiß ich selbst nicht so richtig. Das Adrenalin mobilisiert offensichtlich alle Reserven. Jedenfalls war ich heilfroh, als mir mein Mann entgegenkam.“
„Auf unserem Rückweg nach Winterberg sind uns noch sehr viele Krankenwagen mit Blaulicht entgegengekommen. Vermutlich waren sie gerufen worden, um evakuierte Patienten in andere Krankenhäuser zu bringen.“
Wie haben Sie das Erlebte verarbeitet? Beschäftigt es Sie emotional noch sehr?
„Ich habe keine Alpträume oder so. Aber ich habe schon vielen Freunden und Familienangehörigen von der Nacht erzählt. Das hilft mir sehr. Das „Hallo", der älteren Patienten, die nicht wussten, was passierte, höre ich aber noch heute in stillen Momenten.“
„Zwei Tage nach dem Brand ist in der Wohnung unter uns der Rauchmelder angegangen. Der schrille Alarmton hat in mir sofort Panik ausgelöst. Mein Sohn, der durch eine Unachtsamkeit in der Küche den Rauchmelder ausgelöst hatte, kam sofort hoch zu mir um mich zu beruhigen und sich zu entschuldigen. Ihm war sofort klar gewesen, dass mich der Alarmton so kurz nach dem Branderlebnis fürchterlich erschrecken würde.“
„Besonders emotional war der Moment, als ich meine zurückgelassenen Habseligkeiten abholen konnte. Mein sechsjähriger Enkel Noah hatte mir zusammen mit seinem zweijährigen Bruder Simon eine kleine Laterne gebastelt, die ich im Krankenhaus auf dem Nachttisch stehen hatte. Die musste natürlich bei der Evakuierung auch zurückbleiben. Noah fragte ganz betroffen nach seiner Laterne, ob die denn jetzt verbrannt sei. Wie strahlte er da, als ich ihm die völlig intakte Laterne zeigen konnte. Selbst die Zeitschaltuhr war noch in Betrieb und bei mir kullerten einige Tränen, als das Licht von allein zur gewohnten Zeit anging.“
Möchten Sie den Helferinnen und Helfern noch etwas mitgeben?
„Ich habe größte Hochachtung vor der Leistung aller beteiligten Helfer und Mitarbeiter. Ich möchte mich für ihren Einsatz bedanken und hoffe sehr, dass alle Beteiligten das Erlebte gut verarbeiten können.“